Als stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss Digitale Agenda liegt Dein persönlicher Schwerpunkt im Bereich des Datenschutzes. Mit wachsender Vernetzung unseres Alltags wird es immer schwieriger die Entwicklung aller Neuigkeiten in der Technologie zu verfolgen. Spiegeln die am Markt erscheinenden „intelligenten“ Geräte oder Programme die Nachfrage der Kunden wider oder handelt es sich um von großen Konzernen und Unternehmen aufgezwungene Produkte und Dienstleistungen, um die Konsumenten zu beeinflussen und zu kontrollieren?
Reichenbach: Ich glaube es gilt beides. Produkte, die völlig an Kundenbedürfnissen vorbei entwickelt werden, lassen sich nicht verkaufen. Aber die Produkte werden nicht nur so entwickelt, dass sie optimal funktionieren und die Dienstleistungen oder Fähigkeiten besitzen, für die beim Kunden ein Bedarf besteht. Sie werden auch so entwickelt, dass bei ihrer Nutzung möglichst viele Daten anfallen, die wirtschaftlich verwertbar sind. Das Geschäftsprinzip ist hier das genaue Gegenteil von Privacy by Design.
Ein neues Gerät auf dem Markt ist Google Glass. Die Datenbrille ist vor 2 Jahren auf dem Markt vorgestellt und schon dieses Jahr für den Kunden zur Verfügung gestellt worden. Wie schätzt du es ein? Ist das Gerät ein Hilfsmittel im Alltag oder ist es ein größeres rechtliches Risiko für den Datenschutz?
Reichenbach: Ich habe bislang wenig Erfahrung mit der Brille. Allerdings wird jetzt schon deutlich, dass die Fotografier- und Filmfunktion, die ja integraler Bestandteil bestimmter Dienste ist, wie z.B. dem Erkennen von Gebäude, um dann Informationen dazu oder auch Werbung für Angebote aus der Umgebung einzublenden, erheblich rechtliche und datenschutzrechtliche Probleme mit sich bringt. Denn Google hat die Funktionen so eingerichtet, dass bestehender rechtlicher Schutz, etwa der des Rechtes auf das eigene Bild, vom Nutzer gegenüber Dritten praktisch nicht eingehalten werden kann. Das perfide bei dem Spiel, Google will natürlich die Daten, und der Nutzer, der rechtlich dafür verantwortlich wäre, die Privatsphäre Dritter zu achten, kann dies praktisch mit der Brille kaum garantieren. Damit wird er sozusagen unfreiwillig zum IM (Inoffizieller Mitarbeiter) von Google.
Ein Beispiel, wo man die Datenbrille als einen Vorteil bezeichnen kann, wäre Glass als Hilfsmittel bei der Polizeiarbeit. Google Glass kann den Polizisten einige praktische Möglichkeiten bieten. So könnte die Brille die Identifikation einer Person über die Gesichtserkennung und den Abgleich mit der Polizeidatenbank deutlich beschleunigen. Außerdem würde die Videolog-Funktion das Abfassen von Polizeiberichten im Vergleich zur Eingabe per Hand oder Tastatur beschleunigen. Wie bewertest Du einen solchen möglichen Polizeieinsatz von Google Glass?
Reichenbach: Das ist richtig, es gibt auch andere Dienste von Google, die für Positives zu nutzen sind. Google Maps und Google Earth in Katastrophengebieten, Google Datenanalyse etwa zur Vorhersage von Epedemien und anderes. Fakt ist, dass diese Dienste aber nicht dafür entwickelt worden sind, sondern um mit Nutzerdaten, Werbung und Verkauf von eigenen und fremden Produkten Gewinne zu erzielen. Die positiven Möglichkeiten sind da eher Abfallprodukt, machen sich aber gut für die Imagepflege. Und wir sollten uns nicht auf das Scheinargument einlassen, um die positiven Anwendungen der Google-Dienste nutzen zu können, müssten wir eben den massenhaften Verstoß gegen den Schutz der Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte hinnehmen. Ich muss nicht jeden Nutzer zum „Spion“ für Google machen, nur damit die Polizei diese Möglichkeit auch hat. Diese Funktionen könnte man auch nur für besonders Berechtigte freischalten.
Besteht Deiner Meinung nach für Google Glass gesetzgeberischer Handlungsbedarf gerade im datenschutzrechtlichen Bereich, obwohl man z.B. bei Smartphones auch nicht extra neue Regelungen erschaffen hat, sondern bestehendes Recht entsprechend angewandt hat?
Reichenbach: Ich glaube nicht, dass wir in erheblichem Umfang neues Recht brauchen. Sondern auch für diesen neuen Dienst gilt das Gleiche wie bei der Nutzung der Smartphones bisher: Wir müssen dafür sorgen, dass bestehendes Recht eingehalten wird und können schon gar nicht dessen Nichteinhaltung als Geschäftsmodell akzeptieren. Ich glaube, hier müssen die Anbieter stärker in die Haftung genommen werden, auch was etwa Schadensersatzansprüche betrifft. In dem Moment, wo die Datenerhebung einen wirtschaftlichen Wert erhält, muss auch die Erhebung von Daten ohne Kenntnis oder Zustimmung des Betroffenen ähnlich gewertet werden, wie der „Diebstahl von Geld oder Wertsachen“. Das gleiche gilt für die unerlaubte Weitergabe.
Das Interview führte Indre Mekuskaite.