Fazit Zusammenarbeit:
Nach zweieinhalb Jahren, 20 Tagungen sowie mehreren Berichten ist die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ nun zu Ende gegangen. Wie zufrieden bist du rückblickend mit der Arbeit, die ihr geleistet habt?
GR: Die Bilanz ist gemischt. Wir hätten mehr leisten können, aber das war offensichtlich in den parteipolitischen Konstellationen, in vielen Feldern waren Union und FDP nicht einigungs- und damit handlungsfähig, nicht möglich. Wenn man allerdings den Bericht als Ganzes sieht und nicht nur die Mehrheits- sondern auch die Minderheitsvoten, die oft zwischen den Oppositionsparteien in kompromissform gemeinsam erarbeitet wurden, betrachtet, dann enthält der Enquetebericht sehr viele gute Anregungen und auch sehr viel Zukunftsweisendes.
Wenn man sich den Bericht anschaut, dann ist ja vieles im Konsens beschlossen worden. An welchen Punkten kam es denn zu keiner Einigung? Wo haben sich die Positionen zu stark unterschieden?
GR: Es gibt mehrere zentrale Themen, bei denen die Auseinandersetzung entlang einer durchgängigen Linie verlief. FDP und CDU haben versucht, in den Bericht der Enquete möglichst viele Interessen der anbietenden Wirtschaft einfließen zu lassen und auf diese Rücksicht zu nehmen. Deswegen gab es bei zentralen Themen wie Datenschutz, Verbraucherschutz oder auch bei Fragen der IT-Sicherheit sehr wenig Konsens. Im Bereich des Verbraucherschutzes gab es zum Beispiel keine einzige gemeinsame Empfehlung. Und dort wo es Konsens gab, waren dies sehr oft allgemeine Feststellungen. Anders sieht es da aus, wo das Eigeninteresse der Wirtschaft geringer war, etwa im Bereich „Demokratie und Staat“ oder „Medienkompetenz“.
Partizipationsmöglichkeiten für Nicht-Mitglieder:
Was war mit Blick auf die Beteiligungsmöglichkeiten bei dieser Enquete-Kommission anders als bei vorherigen?
GR: Gegenüber der normalen Ausschussarbeit haben sich zwei Dinge geändert:
1. Wir haben nicht die Arbeitsgruppensitzungen, aber die Plenumssitzungen alle im Livestream übertragen. Bei dem normalen Ausschüssen ist es so, dass öffentliche Ausschusssitzungen nur die Besucher auf den Tribünen erreichen, die Bevölkerung draußen kann sie nicht mit verfolgen. Mit anderen Worten, die in Berlin akkreditierten Lobbyisten haben einen riesen Vorteil gegenüber dem normalen Bürger. Das war bei der Enquete anders.
2. Wir haben die Möglichkeit eröffnet, über eine Beteiligungsplattform im Internet namens Adhocracy, dass jeder Bürger Vorschläge zu den einzelnen Themenbereichen einreichen konnte. Wir nannten das den sogenannten „18. Sachverständigen“. Der Begriff rührte daher, dass neben den 17 Parlamentsabgeordneten die in der Enquete saßen 17 Sachverständige in der Enquete mitarbeiteten, die von den jeweiligen Parteien benannt waren. Der 18. Sachverständige war sozusagen jeder Bürger, der sich genauso wie die von den Fraktionen benannten Sachverständigen einbringen konnte.
Was war die Überlegung bei der Einrichtung der Adhocracy-Plattform?
GR: Die Überlegung war, den Sachverstand auch von Bürgern mit einzubeziehen und eine breite Beteiligungsmöglichkeit zu eröffnen.
War es schwierig dieses Anliegen umzusetzen?
GR: Schwierigkeiten gab es, weil die Bundestagsverwaltung keine Möglichkeiten sah, im Rahmen ihres Budgets ein solches Tool auf der Seite des Deutschen Bundestages einzusetzen. Wobei ein entsprechender gemeinsamer Antrag der Enquete dies zu ermöglichen, von der Mehrheit von CDU/ CSU und FDP in dem zuständigen Entscheidungsgremium beim Ältestenrat abgelehnt wurde.
Und wie konnte dieses Anliegen letztlich doch durchgesetzt werden?
GR: Durch das Engagement der Bürgergesellschaft, nämlich des Vereins Adhocracy, konnte diese Plattform außerhalb des Servers des Bundestages eingerichtet werden. D.h. diese Beteiligungsmöglichkeit ist zwar formal vom Bundestag eröffnet worden, wäre aber ohne das Bürgerengagement auch nicht möglich gewesen.
Wird dieses Pilotprojekt fortgeführt? Werden also in Zukunft auch die anderen Ausschusssitzungen gestreamt?
GR: Das war die Absicht von uns in der Enquete, wohl auch die Angst derjenigen, die es im Ältestenrat abgelehnt haben. Ich bin persönlich der Auffassung, das etwa der Livestream im Internet auch bei öffentlichen Ausschusssitzungen eine zusätzliche Möglichkeit der Bürgerinformation ist. Dazu bedarf es dann natürlich auch entsprechenden Personals und Geräts, aber Demokratie und Beteiligung kostet auch etwas und das muss es dem Parlament wert sein.
Gleiches gilt für Adhocracy. Wenn wir uns die Situation heute im Deutschen Bundestag anschauen, dann haben die Lobbyisten, diejenigen, die in Berlin alles mitverfolgen, nicht nur die Möglichkeit, sich die Informationen zu holen, sondern auch, sich direkt an den Debatten um das Parlament herum zu beteiligen. Etwa in dem sie hier Veranstaltungen in Berlin ausrichten, bei denen sie Abgeordnete einladen um dort ihre Position und ihre Meinung zu platzieren. Adhocracy ist ein Instrument, das auch für den normalen Bürger eine Möglichkeit schafft, ohne über große Finanzmittel zu verfügen seine eigene Position einzubringen.
Aber öffnen solche Plattformen, bei denen man ja auch relativ anonym mitwirken kann, dem Lobbying unter Umständen nicht auch Tür und Tor?
GR: Natürlich kann es auch passieren, dass die, die ohnehin in der Vergangenheit mit viel Geld- und Manpower in Berlin versuchten, ihren Positionen Durchschlagskraft zu verschaffen, dann auch dieses neue Instrument nutzen. Aber ich denke, selbst wenn diese Gefahr besteht, gibt es zumindest eine neue Möglichkeit für jeden Bürger, der auf das Lobbying gleichberechtigt reagieren kann.
Wie zufrieden warst du bzw. die Kommission mit der tatsächlichen Beteiligung?
GR: Die Beteiligung hätte insgesamt besser sein können. Wobei die Beteiligung bei den Themen sehr unterschiedlich war. Bei den Themen, die gerade öffentlich diskutiert wurden, also etwa Vorratsdatenspeicherung oder Urheberrechtsfragen, da war die Beteiligung sehr breit. Bei anderen Themen, die eigentlich genauso wichtig sind, etwa der Verbraucher- oder Datenschutz, war die Beteiligung eher gering.
Das zeigt natürlich, dass auch solche Beteiligungsinstrumente sehr stark von Schwankungen in der öffentlichen Meinung und aktuellen Themensetzungen abhängig sind. Nichtsdestotrotz, dafür, dass dieses Instrument nicht wirklich bei allen Bürgern bekannt war, sondern nur einem kleinen Kreis, der sich von vornherein für die Thematik interessiert hat, macht der erste Versuch Hoffnung. Und wir konnten auch für die Zukunft lernen, weil auch Fehler und Mängel deutlich wurden.
War es denn nur „nicht enttäuschend“ oder würdest du es als ein erfolgreiches Experiment bezeichnen?
GR: Eindeutig, es war ein erfolgreiches Experiment. Denn es wurde zum ersten Mal etwas ausprobiert und man kennt jetzt die Möglichkeiten und die Schwächen, die man bei künftigen Bürgerbeteiligungen über das Netz beheben kann.
Deliberative Demokratie: Beteiligung aller am politischen Prozess?
Wir haben ja nun viel über die Beteiligungsmöglichkeiten und –formen gesprochen, die die Bürger bei der Enquete-Kommission hatten und die das Potential haben, im politischen Alltagsgeschäft bei der parlamentarischen Arbeit ausgeweitet zu werden. Jürgen Habermas betont mit seiner deliberativen Demokratietheorie die Notwendigkeit von Diskursen im politischen Willensbildungsprozess, im Zuge dessen sich alle einbringen und gleichberechtigt bei der Entscheidungsfindung teilhaben können. Bislang scheiterte das Modell ja schon daran, dass es kein entsprechendes Medium gab, zu dem alle Zugang haben und das Kommunikation in beide Richtungen ermöglicht. Das hat sich mit dem Internet ja nun geändert. Ist also ein Modell nach Habermas als Zukunftsvision denkbar?
GR: Zunächst mal ist das, was Habermas aufgestellt hat, ein Regulativ. „Alle“ ist die Idealform und das wird man nie erreichen. Aber die möglichst chancengleiche Beteiligungsmöglichkeit von allen ist Grundvoraussetzung dafür, dass Demokratie sich auch wirklich entfalten kann. Und wenn ich alle oder möglichst viele Menschen erreichen will, dann muss ich eben die unterschiedlichsten Zugänge öffnen. Auch das Internet alleine wird nicht dazu führen, dass wir eine Beteiligung aller ermöglichen. Es gibt in diesem Land einen Prozentsatz, der gar nicht unerheblich ist, der nicht „internetaffin“ ist, oder überhaupt keinen Zugang zum Internet hat. Für diese Menschen ist das Internet eben keine Alternative, sondern hier müssen wir neben den neuen Formen in der digitalen Welt auch die alten Formen des direkten Zugangs zur Demokratie weiter pflegen und auch ausbauen. D.h. nicht nur derjenige, der über Internet, über entsprechende Bildung und Ausbildung verfügt, muss die Chance zu einem gleichberechtigten Zugang haben, sondern auch der, der nicht darüber verfügt.
Wenn man sich allerdings Statistiken anschaut, wird ja sehr deutlich, dass jene, die das Internet gar nicht oder kaum nutzen, der älteren Generation angehören. Dagegen wachsen immer mehr Menschen mit dem Internet auf, sog. „digital natives“, Internet ist Teil von Lebens- und Arbeitswelt. Werden wir also in Zukunft nicht die Situation haben, dass alle einen Internetzugang haben und zu nutzen wissen?
GR: Selbst wenn alle den technischen Zugang zum Internet hätten, heißt es noch nicht, dass alle auch die Möglichkeiten, das Wissen, die Bildung und die Ausbildung haben, diesen Zugang auch optimal für ihre Beteiligung zu nutzen. Das heißt, neben den technischen Möglichkeiten muss immer noch das danebentreten, was wir früher klassisch politische Bildung genannt haben. Nämlich auch Menschen, die nicht über einen hohen Bildungsgrad verfügen, dazu zu befähigen, im politischen Diskurs ihre Positionen und Interessen einzubringen und zu vertreten. Und ich glaube, dass auch in Zukunft trotz direkter Beteiligungsmöglichkeiten im Internet die Parteien eine wichtige Rolle spielen werden. Sie müssen die Beteiligung aller auch im digitalen Zeitalter organisieren.
Netzpolitik auf der politischen Tagesordnung
Den Themen Internet und Netzpolitik wird ja seit einiger Zeit sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet, zuletzt im Bundestag mit der Enquete. Glaubst du, dass es aktuell einfach ein Modethema ist, bei dem alle glauben, sich damit beschäftigen zu müssen, oder wird das ein Thema sein, mit dem sich Politik dauerhaft auseinandersetzen wird?
GR: Bei allen politischen Themen, auch bei den wichtigen, gibt es Wellenbewegungen. Und natürlich ist auch die Enquete-Kommission getragen worden von solch einer Wellenbewegung. Gleichwohl glaube ich, dass wir nicht mehr in den Zustand Ante zurückfallen werden. Das liegt daran, dass eben das Internet, die digitale Kommunikation, die Verarbeitung von Daten immer breitere Lebensbereiche erfasst und immer stärker unser Leben mitgestaltet. Und damit rückt es auch immer stärker in den Fokus der politischen Diskussion. Dies wird sich langfristig eher verstärken denn abschwächen.
Dieser vermuteten Entwicklung wurde in dem Abschlussbericht ja auch Rechnung getragen und neben der Forderung nach einem Netzausschuss war ja auch die Rede von einem „Internetminister“. Was hältst du von dieser Idee?
Also, ob das jetzt ein eigener Minister sein soll, das weiß ich nicht. Was aber die Enquete klar gemacht hat, ist, dass das Thema „Internet und digitale Gesellschaft“ eine Querschnittsaufgabe ist. Bislang wird das sehr stark zersplittert von einzelnen Ministerien vertreten. Das Wirtschaftsministerium verhandelt alle Fragen von Standards auch auf internationaler Ebene, das Innenministerium ist bei der Frage des Datenschutzes involviert und so weiter. Das muss zusammengebunden werden. Ob das dadurch gelingt, dass nochmal ein eigenes Ministerium geschaffen wird, daran habe ich meine Zweifel. Sinnvoller wäre eher die Form eines Beauftragten mit Exekutivfunktionen, also etwa eines Staatssekretärs im Kanzleramt.
Wenn du dir nun abschließend mal das breite Feld der Themen anguckst, die im Rahmen der Enquete-Kommission behandelt wurden. Welches davon hältst du für das wichtigste?
Es gibt ein paar Themen, die sind gerade politisch brisant. Ein wichtiges Thema, mit dem ich mich ja selber beschäftige, ist das Thema Datenschutz. Dort ist die Enquete so gut wie zu keinen Handlungsempfehlungen gekommen, weil es bei vielen Fragen schlicht und ergreifend ein patt gab. Aber da steckt sehr viel in den Minderheitenvoten drin.
Das zweite Thema, das zunehmend eine Rolle spielen wird, ist die Frage der Cybersicherheit. Wenn unser Leben immer stärker von der IT-Infrastruktur abhängig wird, dann müssen wir die auch sicher machen, denn ein Ausfall hätte ganz erhebliche Folgen, nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für jeden einzelnen.
Das Interview führte Sanaa Boukayeo.
Fact Sheet zur Enquete Kommission Internet und digitale Gesellschaft.