Skip to main content

Klein-Gerau macht den Auftakt zur History-Tour 2014

Am vorvergangenen Dienstag startete die History-Tour 2014 unter der Schirmherrschaft des Historikers und Germanisten Prof. Dr. Ernst Erich Metzner in Klein-Gerau.

Rund 30 Interessierte folgten der Einladung des SPD-Bundestagabgeordneten Gerold Reichenbach und des SPD-Gemeindeverbands Büttelborn.

Der Heimatforscher und Ehrenbürger Büttelborns Dr. Heinrich Klingler versetzte die Gruppe gedanklich zurück in das Klein-Gerau der Jahre 1914 bis 1918, das seinerzeit sehr ländlich geprägt und von der Landwirtschaft abhängig war. Der Eisenbahnbau hatte jedoch für die vorher zahlreichen Tagelöhner Beschäftigung gebracht, so dass deren Zahl zu Beginn des Krieges gering war. Der Kriegsausbruch im Juni 1914 sei – trotz anstehender Erntezeit und drohenden Ernteausfällen – eher unaufgeregt aufgenommen worden, versicherte der Kaiser doch, alle Männer seien bis Weihnachten wieder zu Hause, so Klingler. Aus dem schnellen Kriegszug wie ihn Vielen in Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 vorschwebte, wurde bekanntlich nichts, der Krieg erstarrte zum Graben und Stellungskrieg, und am Ende des industriell geführten Materialschlachten stand 1918 der Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches. Kaiser Wilhelm II. selbst floh ins Exil in die Niederlande. 

Der Kriegsalltag sei, so berichtete der Referent, für die Klein-Gerauer jedoch erträglicher gewesen, als für die Bewohner der Großstädte Mainz oder Darmstadt; konnten die Klein-Gerauer doch durch ihre landwirtschaftliche  Erträge, die nun von den Frauen eingefahren werden mussten, wenigstens ihre Ernährung sichern. 

Nach Kriegsende wurden gemäß den Friedensbedingungen des Versailler Vertrages die linksrheinischen Gebiete von den französischen Alliierten besetzt und auf rechtsrheinischer Seite Sperrgebiete als Brückenköpfe um Mainz und Worms gebildet. Auch die Gemeinde Klein-Gerau lag innerhalb des Französischen rechtsrheinischen Brückenkopfes und wurde von französischem Militär besetzt.  Infolgedessen benötigte man nun Passierscheine, um beispielsweise den Markt in Darmstadt, der jetzt außerhalb im „Reichsgebiet“ lag, zu besuchen. Als Unterkunft für die Besatzer diente der Tanzsaal der Gastwirtschaft, der heutige Hof der Familie Bernhardt. Die Kommandantur wurde im Rathaus eingerichtet, die Feldküche und das Magazin fanden in der Alten Schule Unterkunft. Vor der Kommandantur und vor der an der Alten Schule waren Wachen in  blau-weiß-rot gestrichenen Schilderhäuschens, die eigens von einem ortsansässigen Schreiner gefertigt werden mussten. Während die Offiziere der Besatzungstruppe „weiße“ Zentralfranzosen waren, wurden die Mannschaften von Kolonialtruppen aus Marokko und dem Senegal. Die dunkelhäutigen Soldaten, die sehr unter dem rauen Klima fern ihrer Heimat litten, wurden von der einheimischen Bevölkerung „Utschebebbes“ genannt. Das Wort ist vermutlich eine Zusammenziehende Verballhornung der Garnisonstädte in Nordafrika, aus denen sie stammten. Einer dieser einfachen Soldaten, der als Wache an der Alten Schule eingeteilt war, ritzte mit seinem Bajonett die Worte „Vive la France“ in den Sandsteinsockel des Gebäudes. Die Inschrift wurde vom Heimat- und Geschichtsverein wieder sichtbar gemacht  und ist noch heute im oberen Rand des Sandsteinsockels an der Straßenseite der Alten Schule zu sehen Die französische Kommandantur bemühte sich übrigens um  ein gutes Auskommen mit den Klein-Gerauern.  In Sinne der Völkerverständigung, so Klingler, verfügte der französische Kommandant, sollten sich die Klein-Gerauer an Sprachkursen beteiligen. Als jedoch lediglich vier Anmeldungen eingingen, gab man das Unterfange auf.

Die Besatzung in Klein-Gerau währte nur kurz, nachdem es in den Dörfern ruhig blieb, beschränkte sich das französische Militär auf Stützpunkte in den größeren Städten. So blieb in Groß-Gerau noch bis 1922 eine französische Besatzung. 

„Wer sich in einer Gemeinde wohlfühlen möchte, der braucht auch Wissen um die Historie der Gemeinde, denn nur so wird sie zu einer Heimat“, rundete Reichenbach den Vortrag von Dr. Klingler ab.