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Persönliche Erklärung von Gerold Reichenbach zum Fiskalpakt

Erklärung des Bundestagsabgeordneten Gerold Reichenbach zum Abstimmungsverhalten gem. § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur 2./3. Lesung des CDU/CSU und FDP-Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion und zur 2./3. Lesung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion.

Ich lehne den Fiskalpakt ab, weil er für die Finanzpolitik Europas und ihre künftige Weiterentwicklung das völlig einseitige Signal in Richtung einer reinen Austeritätspolitik setzt.


In dieser Einschätzung haben mich die eindringlichen Warnungen vieler Ökonomen und führender Gewerkschafter, die sich besorgt an uns Bundestagsabgeordnete gewandt haben, ebenso bestärkt, wie diesbezügliche Schreiben von Bürgerinnen und Bürgern.


Das Ziel einer nachhaltigen Konsolidierung der Haushalte der europäischen Länder ist richtig und wichtig. Dieses Ziel wird mit dem einseitigen Instrument des Fiskalpaktes jedoch nicht erreicht werden können, weil er die Frage gerecht organisierter Steuereinnahmen und nachhaltiges und umweltverträgliches Wachstum völlig ausklammert. Der Fiskalpakt ignoriert den engen Zusammenhang von Staatsfinanzen und Konjunktur. Wenn die Wirtschaft schrumpft und der Staat auch noch drastisch kürzt, dann beschleunigt sich die wirtschaftliche Talfahrt. Darum wird entgegen den Versprechen der Verfechter des Fiskalpakts die Staatsverschuldung nicht sinken! Im Gegenteil! Schuldenabbau geht nur anders: mit Wachstum, Investitionen, guter Arbeit und gerechten Steuern.

Eine Sanierung der europäischen Finanzen wird nicht auf dem Weg des Sozialabbaus, der Einschränkung öffentlicher Dienstleistungen, schlechterer Infrastruktur, darbender Kommunalfinanzen, zunehmender Armut und Ungleichheit gelingen. Diese Form der Sanierung dient nur dazu, die Folgen der Finanzkrise einseitig auf die Bürger Europas abzuladen und die Verursacher und Profiteure schadlos zu halten. Nicht laxe Haushaltspolitik ist der Hauptverursacher der Krise. Vor der Finanzkrise sind überall in Europa die Staatsschuldenquoten gesunken. Erst infolge der Finanzkrise und der notwendigen Rettungsmaßnahmen der Staaten gingen die Defizite in die Höhe. Die notwendigen Regulierungen für den Finanzsektor und die finanzielle Beteiligung der Verursacher an den Kosten der Krisenbewältigung blieben jedoch weitgehend aus.


Ersichtlich ist die Merkelsche Politik gescheitert. Ihre seit mehr als zwei Jahren verordnete Therapie macht den Patienten nicht gesund, sondern kränker. Ganz Südeuropa stürzt immer mehr in den wirtschaftlichen und sozialen Ruin. Als Folge davon brechen jetzt deutsche Exporte ein, auch für Deutschland kommen die Einschläge näher.

Ich begrüße und anerkenne ausdrücklich, dass es der SPD und den europäischen Sozialdemokraten gelungen ist, mit der Durchsetzung der Finanztransaktionssteuer und der Etablierung eines europäischen Wachstumsprogramm eine Richtungswende in der europäischen Politik einzuleiten. Gleichwohl beschränkt sich die völkerrechtliche Bindung des Fiskalpaktes auf eine reine Politik der Austerität.

Meine Befürchtung ist, dass lediglich der völkerrechtlich vereinbarte Mechanismus, so wie bei der Ausgestaltung Europas nach den Maastrichter Verträgen, zur Grundlage der Weiterentwicklung der europäischen Politik wird.

 

So wie Maastricht nur zu einem Europa der Märkte, des freien Waren- und Kapitalverkehrs und nicht zu einem Europa der Bürger als Grundlage taugte, so birgt der Fiskalpakt die reale Gefahr in sich, dass dem erneut nur eine Weiterentwicklung in eine reine Fiskalpolitik folgt und das soziale Europa der Bürger wieder außen vor bleibt.

Ein Europa, das aber nur dem Wirtschaftsverkehr und den Finanzmärkten dient, wird die Akzeptanz seiner Bürger endgültig verlieren. Aus dieser großen Sorge um die europäische Idee, eines Europas der Solidarität und des Ausgleiches, das diesem kriegsgeplagten Kontinent nachhaltigen Frieden beschert hat, kann ich persönlich dem Fiskalpakt nicht zustimmen. Ich habe gleichwohl hohen Respekt vor meinen Fraktionskollegen, die mehrheitlich in ihrer Güterabwägung zu einer anderen Entscheidung gekommen sind.

Berlin, den 29. Juni 2012

Gerold Reichenbach, MdB