Frage:
Mit dem Aufstieg des Internets zum Massenmedium sprechen viele Experten von der Entstehung einer Informationsgesellschaft. Unbestritten ist, dass das Medium Internet hinsichtlich der Informationsbeschaffung neue Maßstäbe an Komfort und Geschwindigkeit setzt. Einigkeit besteht jedoch auch darin, dass Informationen, die aus dem Internet gewonnen werden, nicht zwangsläufig den echten Gegebenheiten entsprechen müssen, oder diese sogar verfälschen können. Wie würdest Du vor diesem Hintergrund den Stellenwert des Internets bei der Informationsbeschaffung beurteilen?
Antwort:
Das Internet hat die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung drastisch ausgeweitet. Gleichzeitig kann jeder heute mit einem Internetzugang und ein bisschen Speicherplatz zum Publizierenden werden und damit auch Informationen beitragen. Daraus ergibt sich aber ein Mengen- und Qualitätsproblem. Die Informationen sind vielfältig und es sind mittlerweile diejenigen im Meinungsbildungsprozess wichtig, die dazu beitragen, dass die Informationen gefunden werden, also die sogenannten Plattformen oder auch Intermediären. Zum zweiten muss natürlich nicht jede Information zuverlässig sein, und im Gegensatz zu journalistischen Redaktionen, die den Wahrheitsgehalt von Informationen vorher überprüfen können, ist jetzt jeder Nutzer selbst gefordert den Wahrheitsgehalt von Informationen zu überprüfen - was er oft gar nicht kann - oder sich Gegeninformationen zu organisieren. Die beiden Seiten der Medaille lassen sich gut bei den sozialen Netzwerken beobachten. Auf der einen Seite stehen, etwa beim arabischen Frühling, die Informationen, die von den Bürgerrechtsbewegungen, den Oppositionellen, an den offiziellen kontrollierten Medien vorbei untereinander ausgetauscht und an weite Teile der Bürger direkt gesendet werden konnten. Auf der anderen Seite zum Beispiel die rechte Hetze in den sozialen Netzwerken, oder auch sich verselbstständigende Gerüchte, die eine virtuelle Realität im Netz aufbauen, die den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entspricht.
Frage:
Neben neuen Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung bietet das Internet auch die Möglichkeit, nahezu jegliches, möglicherweise urheberrechtlich geschütztes, Material zu vervielfältigen. Die Kopie ist dabei für den Laien vom Original kaum zu unterscheiden. Ist vor diesem Hintergrund eine weitreichende Reform des deutschen Urheberrechts, ursprünglich als Verlegerrecht konzipiert, unausweichlich?
Antwort:
Ich glaube ja, wobei wir zwei Dinge zusammenbringen müssen. Zum einen muss das Urheberrecht den modernen Verbreitungs- und auch Reproduktionsmixmöglichkeiten im Netz gerecht werden, zum anderen darf der Kerngedanke des Urheberschutzes, nämlich das der Produzent auch am wirtschaftlichen Erfolg seiner Produkte beteiligt wird, nicht aus dem Auge verloren werden. Das heißt wir dürfen es nicht zulassen, dass die Wertschöpfung vom Produzenten weg auf die Intermediäre oder Plattformbetreiber wechselt und die Produzenten leer ausgehen, oder nur mit einem „Hungerlohn“ abgespeist werden. Das betrifft im Übrigen nicht nur die audiovisuellen Medien über die wir heute reden, mit dem weiteren Fortschritt des 3D-Druckers wird es auch gegenständliche Dinge, also die Frage des Urheberrechts von Designern und plastischen Künstlern betreffen.
Frage:
Während wir uns im Internet bewegen, hinterlassen wir Spuren in Form von Daten. Daraus lassen sich beispielsweise Vorlieben für bestimmte Produkte, aber auch ganze Bewegungsprofile erstellen. Unternehmen gewinnen dadurch wichtige Erkenntnisse über den Einzelnen, mit denen diese ihr Marketing optimieren können. Gibt es Möglichkeiten sich vor dieser Überwachung zu schützen und - falls ja - wie können diese genutzt werden?
Antwort:
Im Kern zielt diese Frage auf den Bestand eines unserer wichtigsten Grundrechte. Wenn jemand ständig heimlich oder offen überwacht, kontrollierbar und manipulierbar ist, wird er fremdbestimmt und dies widerspricht dem Artikel 1 des Grundgesetzes, nämlich der Würde des Menschen. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur „Volkszählung“ und in seinem später darauf aufbauenden Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung und zur Onlinedurchsuchung von Computern auch deutlich gemacht, dass die Kontrolle und die Selbstbestimmung über die eigenen Daten zum Kern der Würde des einzelnen Menschen gehören. Deswegen ist der Gesetzgeber national und europäisch gefordert, durch regulative Maßnahmen den Bürger vor unkontrolliertem Datenerheben, Ausspionieren und Manipulieren zu schützen. Dies heißt, dem Nutzer muss transparent sein, welche Daten von ihm von wem erhoben werden und zu welchem Zwecke, und an wen diese weitergegeben werden, oder werden können. Und er muss darin informiert einwilligen. Dabei ist es notwendig, dass ihm die Entscheidungsfreiheit bleibt, das heißt Praktiken, wie sie jetzt von den sozialen Netzwerken nach dem Motto „willige in alles ein oder lass es bleiben“, oder auch von anderen Plattformen genutzt werden, sind nach meiner Einschätzung rechtswidrig und müssen künftig durch regulatorische Maßnahmen, sprich durch Gesetze auf europäischer Ebene, eingeschränkt und unterbunden werden.
Das Interview führte Leon Christian Schnell.
Fact Sheet zu Digitalisierung und Wandel der Medienlandschaft