Datenschutz und IT Sicherheit als Kernaufgaben der Zukunft

von Gerold Reichenbach, MdB

Der Aussphähskandal durch ausländische Nachrichtendienste hat viele von uns im Sommer 2013 wach gerüttelt und unser Bewusstsein für unsere Daten und den Schutz unserer Privatsphäre geschärft. Es vergeht immer noch kaum ein Tag, wo es nicht neue Erkenntnisse über das Ausmaß des Ausspähskandals gibt. Zuletzt die Vorwürfe zum SIM-Karten-Hack durch britische und amerikanische Geheimdienste, der es ihnen ermöglichen kann verschlüsselte Kommunikation im Klartext mitzulesen und so mobile Kommunikation zu überwachen, ohne auf die Mitwirkung der Provider angewiesen zu sein. Die Identifizierung der Firmenware von Festplatten ermöglicht es Geheimdiensten oder kriminellen Akteuren, die Sicherheitsmaßnahmen und Verschlüsselungen der Nutzer auszuhebeln.

Die Ausspionierung des Bürgers, um die Informationen für die Durchsetzung eigener Ziele und Machtansprüche zu nutzen, ist aber längst nicht mehr nur Mittel der Geheimdienste und Regierungen, sie ist eben auch zum einträglichen Milliardengeschäft großer Konzerne geworden. Die massenhafte Datenerhebung durch soziale Netzwerke, Mail- und Chatdienste, Online-Shops und Suchmaschinen ermöglicht es den großen Datenkonzernen, jeden einzelnen in seinem Verhalten und seiner Lebensführung bis in die privatesten Details auszuspionieren und dieses Wissen für ökonomische Interessen zu verwerten.

Es ist eben nicht „nur“ unsere elektronische Kommunikation überwachbar, sondern unser gesamtes Verhalten. Wir können mittels Programmen, die versuchen „auffälliges“ Verhalten herauszufiltern, überwacht werden und die Frage dessen, was als auffällig gilt, liegt im Auge des Betrachters, sprich des überwachenden Staates, des Unternehmens, der Versicherungsgesellschaft oder des Kreditinstitutes, das die Analyse der personenbeziehbarer Daten zur Einschätzung seiner Kunden und Ausgestaltung gezielter Verkaufs- und Geschäftsmodelle nutzt.Dass dies zu einem Problem für die Bürgerlichen Freiheitsrechte und den Schutz der Verbraucher und damit eine Gefährdung einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft werden kann, liegt auf der Hand.

Schutz der digitalen PrivatsphäreEs reicht darum nicht mehr aus, zu sagen, Bürgerinnen und Bürger müssen vor der Übermacht des Staates geschützt werden. Es muss auch um Daten- und Persönlichkeitsschutz im Verhältnis privater Wirtschaftsunternehmen zum Individuum gehen. Es wird eine der zentralen Herausforderungen der Zukunft sein, Strategien und Regeln zu entwickeln, wie mit den massenhaft vorhandenen, erhobenen und verarbeiteten Daten umgegangen werden soll. Wir müssen die Sicherheit von IT- und kritischen Infrastrukturen stärken und dazu wirksame Schutzmechanismen sowohl auf technologischer als auch auf normativer Ebene entwickeln.

In beschränktem Umfang kann zwar schon jetzt jeder Einzelne etwas dazu beitragen, seine digitale Privatsphäre besser zu schützen. Zum Beispiel, indem er die Privatsphäreeinstellungen auf seinen Endgeräten entsprechend wählt und seine elektronische Kommunikation verschlüsselt. Er stößt aber da an seine Grenzen, wo die verfügbaren Produkte diese Möglichkeiten, teilweise gezielt, nicht oder nur versteckt bereitstellen, oder es gar keine erkennbaren Informationen darüber gibt, welche Daten über ihn von den Diensten und Applikationen erhoben werden. Der Hinweis der Wirtschaftslobbyisten auf den aufgeklärten Nutzer, der eigene Maßnahmen zum Schutz seiner Privatsphäre vorzunehmen hat, ist an diesen Stellen nur noch zynisch.

Das Recht auf Privatsphäre ist aber mit der Einführung des Internets keineswegs unwiederbringlich verloren gegangen, wie dies von einigen Apologeten der “Daten- und Plattformwirtschaft” propagiert wird. Dieser Mythos wird gerne von Lobbys gepflegt, die damit eigene ökonomische Interessen zu verschleiern versuchen. Die globale Vernetzung führt lediglich dazu, dass die herkömmlichen rechtlichen und physischen oder technischen Vorkehrungen zum Schutz der Privatsphäre nicht mehr ausreichend greifen und den neuen Kommunikationsmöglichkeiten angepasst werden müssen.

Technische AbhängigkeitIn einer zunehmend vernetzten Welt steigt nicht nur die Zahl der anfallenden, auch persönlichen Daten, gleichzeitig wächst die Abhängigkeit von Datenverarbeitung und funktionierenden und sicheren Kommunikationsinfrastrukturen. Ob Lebensmittelversorgung, Wasser-, Strom und Energieversorgung, Logistik und Entsorgung, Gesundheitswesen oder öffentliche Sicherheit, sie alle sind heute von funktionierenden IT- und Kommunikationssystemen abhängig. Sie sind gegenüber kriminellen oder staatlichen Angriffen in hohem Maße anfällig. Gleiches gilt für die Unternehmen und selbst für private Haushalte. Darum müssen wir uns verstärkt der IT Sicherheit widmen. Dazu gehören mehr Kapazitäten zur Bekämpfung von Cyberkriminalität, ein besserer Schutz kritischer Infrastrukturen einschließlich wichtiger staatlicher Einrichtungen und mehr Investitionen in IT-Sicherheit sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich.

Herausforderungen der ZukunftDie neue digitale Ära birgt viele Möglichkeiten und Vorteile. Manch einer sagt sogar, die digitale Revolution werde prägender sein als die industrielle Revolution. Ich sehe es als Kernaufgabe der Zukunft an sicherzustellen, dass die Vorteile der Digitalisierung genutzt werden können und trotzdem die Nachteile, die völlige Ausspähung und die zunehmende Manipulierbarkeit des Individuums für ökonomische oder politische Interessen, verhindert werden. Es ist klassisch sozialdemokratische Aufgabe, technischen und wirtschaftlichen Fortschritt nicht zu verhindern, sondern ihn so zu gestalten, dass er zu einem Mehr an demokratischer Beteiligung, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlichem Wohlstand für alle führt, und nicht nur der Profit- und Machtsteigerung einiger weniger dient.

Die enormen Kapazitätssteigerungen im IT Bereich, die wachsende Vernetzung und der damit einhergehende massive Anstieg der anfallenden Datenmengen können dazu genutzt werden, die Menschen besser im ökonomischen und politischen Interesse zu manipulieren sowie aus ökonomischer Sicht ineffiziente Individuen zu identifizieren und auszugrenzen. Sie können aber auch dazu genutzt werden, Transparenz und demokratische Kontrolle zu verbessern, von ökonomischen Interessen freie Diskussions- und Publikationsräume zu gestalten, die jedem diskriminierungsfrei zugänglich sind, Dienstleistungen im allgemeinen Interesse zu verbessern, Umwelt durch effizientere Ressourcennutzung zu schützen, nachhaltigere Produktions- und Distributionsprozesse zu organisieren oder wissenschaftlichen Fortschritt zu machen.

In der wachsenden Sensibilität der Bevölkerung und auch der Unternehmen für die Bedeutung des Schutzes digitaler Privatsphäre und sicherer IT-Strukturen liegt unsere Chance. Wenn wir sie nutzen, können wir ein hohes Datenschutzniveau und „IT-Sicherheit made in Germany“ zu einem Standort- und Wettbewerbsvorteil gegenüber den derzeit marktdominierenden amerikanischen Großunternehmen ausbauen.

Dieser Beitrag ist auch im Dossier Netzpolitik der parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion erschienen: http://www.parlamentarische-linke.de/434/.