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Mein Ja zur Griechenland-Hilfe - mein persönliches Statement

Ich habe heute der Aufnahme von Verhandlungen für ein neues Hilfspaket für Griechenland und Details eines ESM-Hilfsprogramms zugestimmt.

Wir wollen Europa zusammenhalten. Deutschland hat profitiert und profitiert in hohem Maße von einer stabilen Europäischen Union. Dazu gehört insbesondere auch ein solidarischer Zusammenhalt und die Fähigkeit im Kompromiss gemeinsame Interessen zu definieren. Eine Spaltung Europas hätte erhebliche Auswirkungen auch auf die wirtschaftliche Stabilität in Deutschland. Auch darum wollen wir, dass Griechenland im Euro verbleibt. 

Das Risiko eines „Grexit“ bleibt in seinen Auswirkungen etwa auf die Refinanzierungsmöglichkeiten anderer europäischer Länder wie Portugal, Spanien oder Italien unkalkulierbar. Auch die Auswirkungen auf Länder mit hohem Finanzierungsanteil der eigenen Wirtschaft durch griechische Banken wie Bulgarien, Rumänien oder Zypern wären erheblich. Die Auswirkungen auf die soziale und humanitäre Lage der einfachen Menschen in Griechenland selbst wären katastrophal.

Diese Risiken sind gegen die Risiken eines weiteren Hilfspaketes abzuwägen.

Griechenland hat während der Verhandlungen Kompromissbereitschaft gezeigt. Die Regeln des Euro gelten und werden durch Griechenland anerkannt. Auch die übrigen Euroländer haben Kompromissbereitschaft gezeigt, denn die verabredeten Maßnahmen enthalten neue Elemente. Unter anderem ein 35 Mrd. Investitionsprogramm aus europäischen Fonds, aus denen eine Milliarde als Sofortimpuls für Wachstum gedacht ist. Ohne Wachstumsförderung und Investitionen keine wirtschaftliche Genesung. Weitere 12,5 Mrd. Euro sollen aus Privatisierungserlösen Investitionsmöglichkeiten verstärken. 

Natürlich ist es an Griechenland, Reformen einzuleiten und die Glaubwürdigkeit der Reformzusagen nachzuweisen. Griechenland hat seine Zusage, erste Maßnahmen im Parlament bis zum 15.07.2015 zu verabschieden, bereits eingehalten. Dazu gehören die Vereinfachung des Mehrwertsteuersystems und erste Rentenreformen. Das griechische Parlament musste zudem das gesamte im Eurogruppenstatement dokumentierte Maßnahmenpaket akzeptieren. Keine einfache Schlacht, die der griechische Ministerpräsident Tsipras zu schlagen hatte, aber es ist ihm gelungen die Mehrheit im Parlament sicherzustellen. Und das obwohl das Paket weiter reichende Reformen enthält als die, die kurz zuvor im griechischen Referendum abgelehnt worden sind. 

Ich glaube grundsätzlich, dass die einseitige Sparpolitik der EU gegenüber Griechenland in ihrer bisherigen Form falsch war und als gescheitert gelten muss; jedenfalls in Bezug auf die Konsolidierung des griechischen Staates und die Unterstützung der Menschen in Griechenland. Die „Geldgeber“ sind dabei nicht selten auch die „Geldnehmer“. Die Hilfsprogramme an Griechenland waren von Anfang an einseitig darauf ausgerichtet, dass man von Gläubigerseite Hilfszahlungen gegen Strukturreformen tauschte. Die Reformen beim 1. Hilfspaket waren einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Investitionen ausgerichtet. Das hat dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit mit das größte griechische Problem darstellt. Mit 25% verzeichnet es die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. Zudem hat Griechenland Schulden in Höhe von 330 Mrd. €, das sind 185% des Bruttoinlandsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme in 2010 lag dieses noch bei 148%. Die Inflationsrate sank von +4,7% in 2010 auf – 1,4 % in 2014. Statt der griechischen Bevölkerung haben Banken und Spekulanten profitiert – mehr als ¾ alles Hilfskredite flossen direkt an sie bzw. an die Gläubiger. 

Obwohl ich für die heutige Situation in Griechenland andere Maßnahmen wie beispielsweise Umschuldung und Schuldenerlass für sinnvoller erachten würde, kann und werde ich mich jedoch nicht gegen die jetzt beschlossenen Maßnahmen stellen.

Wir sollten nicht übersehen, dass es nicht nur um Griechenland geht. Niemand kann übersehen, welchen Folgen ein „Grexit“ hätte, welche Dominoeffekte sich daraus ergeben könnten. Ich halte es auch für eine Illusion zu glauben, ein Grexit würde keine erheblichen Folgen für den deutschen Steuerzahlen bedeuten. Ich bin da skeptisch. Viele der Ökonomen, die das Risiko eines Grexit für kontrollierbar erklären, haben vorher auch behauptet, dass Hypothekenverbriefungen, die dann die erste Finanzkrise ausgelöst haben, eine sichere Option seien, weil in ihnen das Risiko ja gestreut sei. Genau das hat aber dann zu erhöhter Risikobereitschaft und dem von ihnen nicht vorhergesehenen Dominoeffekt geführt. 

Als Deutschland 2008 von der Finanz- in eine Wirtschaftskrise geriet, haben wir – im Gegensatz zum Rat vieler liberaler und konservativer Ökonomen - keine Sparpakete, keine Lohn- oder Rentenkürzungen, keine Ausgabenkürzung des Staates und keine Privatisierungen beschlossen. Stattdessen haben wir auf Drängen der  SPD Konjunkturprogramme beschlossen. Mit 2 x 50 Mrd. € haben wir Maßnahmen durchgeführt, die die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet haben. Deutschland hatte so die Chance sich aus der Krise herauszuarbeiten. Die völlig unterschiedlichen Reaktionen auf die Krisen Deutschland und Griechenland machen für mich die Notwendigkeit deutlich, dass Griechenland dringender denn je Rahmenbedingungen für Investitionen, Wachstum und Binnennachfrage braucht. Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Sparen im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist. 

Es ist aber auch die Idee der Europäischen Union, die bei einem Nein zu Hilfsmaßnahmen auf der Kippe stehen würde. Es geht um nichts weniger als um Solidarität. Eine Solidarität, die unter anderem auch Deutschland nach Ende des zweiten Weltkrieges sein Wirtschaftswachstumswunder erst ermöglicht hat. 

Ich hoffe, dass ich allen Interessierten meinen Standpunkt etwas näher bringen konnte.

 

Gerold Reichenbach, MdB